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Cooder, Ry - My Name Is Buddy

My Name Is Buddy: Another Record by Ry Cooder

Es ist nicht ganz zwei Jahre her, Ry Cooder steckte gerade bis zu den Ellenbogen in den Arbeiten an seinem letzten Album, Chavez Ravine, als eine merkwürdige Nachricht hereinflatterte. Sie kam mit der Post, ein einfacher brauner Umschlag, die Adresse ließ die Handschrift eines alten Freundes erkennen. In diesem Umschlag fand Cooder ein wohlbekanntes Bild des großen alten Bluesmanns Lead Belly. Aber an Stelle seines Gesichts war das Bild einer roten Katze gephotoshopt, in ihren Augen diesen unergründlichen Blick derer, die schon alles gesehen haben. Sonst war nichts im Umschlag, außer einer Web-Adresse und der Notiz: "Du wirst wissen, was damit zu tun ist."

Doch nicht sofort. Nachdem Ry Cooder ein wenig herumgebohrt hatte, um den Namen der Katze (‚Buddy') zu erfahren, und Teile ihrer Vagabunden-Geschichte (sie war in der Gasse hinter einem Plattenladen in Vancouver gefunden worden, lebte in einem Koffer und starb 2005), schob er das Bild zur Seite, um Chavez Ravine den letzten Schliff zu geben. Doch längst hatte der Gedanke an ‚Buddy' tief in seiner Vorstellung Wurzeln geschlagen. "Im Lauf der Zeit fiel es mir zu" erzählt Ry Cooder. Treibende Rhythmen, Geschichten von Mühsal und Ocker gefärbte Melodien gingen ihm durch den Kopf. "Ich dachte immer ‚red cat'… und ich hörte ständig einen Charlie Poole Song - mehr eine Kadenz." Und alles begann, an die richtige Stelle zu fallen. "Buddy ist eine ‚red cat' - nicht einfach eine rote Katze, sondern ein Gewerkschafter. Er wird Rot." Dann eine Zeile Text. ‚I´m a red cat til i die…' Schon bald hatte der ursprüngliche 'Buddy' eine komplette Vorgeschichte; einige Mitreisende, die er unterwegs traf - Lefty the Mouse, den Reverend Tom Toad - und eine Vergangenheit und eine Zukunft; eine Geschichte zu erzählen.

My Name Is Buddy: Another Record by Ry Cooder ist in gewisser Hinsicht ein Rückblick, Ry Cooder durchforstet ein Repertoire, das ihn Zeit seines Lebens faszinierte. "Als ich anfing, Platten aufzunehmen, dachte ich: ‚Ich mag diese alten Songs.' Also machte ich ein paar Platten und die Leute dachten: ‚Was ist das? Das kann man nicht verkaufen.' Aber ich habe diese Sachen immer wieder gespielt. Weil ich einen guten Song erkenne, wenn ich einen höre. Ich würde sagen, ich habe 40 Jahre gebraucht, um das klarzustellen."

Wenn man Chavez Ravine als Ry Cooders musikalisches Palimpsest1 ansieht, seine Wieder-Erinnerung einer vergangenen ‚Neighborhood', eines verlorenen Lebensstils, dann ist My Name Is Buddy das nächste Kapitel in der Erzählung von Entwurzelung, Entmündigung und Aushöhlung der Demokratie - aber diesmal als Geschichte einer Gruppe von Freunden, ganz in der Tradition von Walt Kellys Comic-Geschichten um Pogo: "Pogo war für mich eine Straßenkarte durchs Leben. Tiere sind perfekte Figuren, weil sie selbst nicht viel aussagen. Sie sind wunderbare Metaphern. Sehr solide und nicht schwer zu verstehen." Teils Allegorie, teils schelmischer Abenteuerroman, macht das neue Album da weiter, wo Chavez Ravine aufhörte. Ry Cooder untersucht ein verloren gegangenes Amerika, in diesem Fall den von der Bildfläche verschwundenen ‚American Working Man'. "Heute will niemand mehr ‚working man' genannt werden - vielleicht ‚SUV-Fahrer' - aber bestimmt nicht ‚Arbeiter'." Aber was geschah mit der Botschaft der Einigkeit? Der Solidarität? Der Fairness und Gerechtigkeit? Was geschah mit der Idee "we are many, they are few"? Diese Fragen führten Cooder zurück zu dem Ort, wo so viele der alten Geschichten und Kämpfe sicher aufbewahrt sind: in den Fundamenten der Musik Amerikas: seinen Lieder von Lobpreis, von Sorge, von der Arbeit, vom Protest und vom Feiern. "Worüber singen arme Leute? Tod, Jesus, Mutter und das, was heute passiert ist. Sie lebten in Armut oder arbeiteten in der Sägemühle und verloren dort ihre Finger - und ähnliche schreckliche Geschichten - aber nahmen ihre Musik mit, wo immer sie waren."

Buddys Koffer, erläutert Cooder, ist "sein Wohnwagen, sein Airstream, könnte man sagen" - aber die Reise ist nicht nur eine geographische. Das Album macht einen Streifzug durch die Geschichte der amerikanischen Musik abseits der Städte: Blues, Folk, Bluegrass mit Spuren von Spiritual und Lounge Jazz. Und dieser Rundgang führt auch in die philosophische Seele des Landes: Lieder von Kämpfern, von Gewerkschaftern, von Kirchgängern und abgehalfterten Helden. Manchmal klingen die Songs vertraut, werden alte Melodien erkennbar. Und das soll auch so sein, bestätigt Cooder. Viele davon schweben schon seit Jahrzehnten im kollektiven Gedächtnis. "Die meisten dieser Songs gehen auf andere Stücke zurück, einige davon sind Kirchenlieder." Mit eingewebt sind aber auch Anspielungen auf Reverend Gary Davis, Earl Robinson, Harland Howard, Hank Williams, Woodie Guthrie und die Protestsongs des Arbeiter-Organisators und Liedermachers Joe Hill.

Wie schon bei Chavez Ravine war es für Ry Cooder eine Befreiung, eine bestimmte Geschichte erzählen zu können. "Ich musste Ry Cooder vergessen und diese Geschichte erzählen." (Der Umfang dieses Unternehmens allerdings überraschte ihn. Was keinen Platz in den Songs fand, wurde zu einem richtigen Begleitbuch - mit Texten von Ry Cooder und treffenden Illustrationen aus dem Zeichenstift von Vincent Valdez. "Die Songs sind ein bisschen unbeschwerter" sagt Cooder "und die Geschichten geben dazu den etwas dunkleren Hintergrund.")

Und um diese Geschichte musikalisch adäquat erzählen zu können, ging Cooder zu den Schlüsselquellen des Folk: er reiste nach Beacon, N. Y., und besuchte Mike und Pete Seeger für eine historische Session in Petes Wohnzimmer ("J. Edgar"), die beiden Legenden sind an den Banjos zu hören. Er machte den Meister der Bluegrass-Mandoline Roland White und den Chef der Chieftains Paddy Maloney dingfest. Er rief alte Freunde und Weggefährten wie Jim Keltner, Van Dyke Parks, Flaco Jimenez, Mike Elizondo und seinen Sohn, Joachim Cooder, zusammen. Und obwohl auch Jazzgrößen wie Jacky Terrasson und Stefon Harris ("Green Dog") ihre Cameo-Auftritte haben, ist My Name Is Buddy keine jener Jamsessions mit dem erklärten Ziel, Genre- oder Generationengrenzen zu überschreiten. "Ich war immer an der Umgangssprache der amerikanischen Musik interessiert. Wie die Leute in verschiedenen Städten saßen und Lieder schrieben und ihre Instrumente spielten. Ich wollte immer wissen, wie sie bei diesen Songs ankamen, wer ihnen beibrachte, Gitarre zu spielen, ihre Geige. Wie sie lernten, sie zu halten. Und wie sich das verändert hat, von Stadt zu Stadt, alle 20 Meilen oder so, eben wie Sprache. Und wie sich das alles, noch vor allen Aufnahmetechnologien, in ganz Amerika verbreitete."

Und so sehr My Name Is Buddy sich authentisch anfühlt, wie ein aus der Zeit gefallenes Artefakt, ist das Album doch von einer drängenden Aktualität geprägt. "Wir machen das nicht, um nostalgisch zu sein" unterstreicht Ry Cooder - insbesondere, weil viele der Themen heute noch hochaktuell sind - Intoleranz, Armut, Gewalt, Gier, die Forderung nach Chancengleichheit.

"Ich liebe diese Songs; ich liebe die Melodien und die Inhalte. Diese Lieder sind eine Vorlage" erklärt Cooder. Die Idee ist, sie in etwas Eigenes zu verwandeln. "Viele dieser Lieder trugen Warnungen für den ‚working man' in sich - besonders die aus dem 19. Jahrhundert im ¾-Takt. Das war der eigentliche Grund, zu singen. In den Liedern ging es um aktuelle Themen. Sie waren Vehikel für Leute, die etwas sagen wollten. Sonst ist es sinnlos, sie zu singen."
17 Tracks.
Price: 19,50 EUR