Chet Baker in Germany 1955-1959. Lost Tapes.
Chet Baker Quartet, Caterina Valente, Orchester Kurt Edelhagen u.a.
Tracklist:
LP 1:
1. Lullaby In Rhythm
2. I'll Remember April
3. Every Time We Say Goodbye
4. Everything Happens To Me
5. Baker 56
6. It Never Entered My Mind

LP 2:
1. Bockhanal
2. I Should Care
3. Isn't It Romantic
4. Polka Dots And Moonbeams
5. Autumn In New York
Released 2014.

Am 5. September 1955 landet Chet Baker in Orly, dem Pariser Flughafen. Es soll die erste Europa-Tournee für ihn und sein Quartett werden. Chet hat es eilig nach Paris zu kommen. Der Grund ist Liliane, eine attraktive Pariserin, die Chet Baker im Birdland in New York City kennengelernt und in die er sich unsterblich verliebt hat. Als Lilianes Visum für die USA abläuft, entscheidet sich der 25-jährige Baker Hals über Kopf, ihr nach Paris zu folgen. Isn’t It Romantic? So heißt ein Song von Richard Rodgers – auch auf dieser LP zu hören. 1952 hat sich Chet Baker als Trompeter des Gerry Mulligan Quartetts mit lyrischen Balladen und sanftem Sound in die Herzen der Fans gespielt. Über Nacht berühmt geworden, wird er 1954 von den Lesern der führenden Jazz-Magazine in den USA zum Trompeter Nr. 1 gewählt – vor Dizzy Gillespie und Miles Davis. Der sanfte Poet der Trompete, das ist sein Image. Umso überraschter reagiert das Publikum in Europa auf den Chet Baker, der sich live auf seinen Konzerten präsentiert: Ein Trompeter mit zupackender Attacca, der schnelle, boppige Linien spielt, begleitet von einem Pianisten, der neue Harmonik mit bizarrer Rhythmik verbindet und einem Schlagzeuger, der mit hartem Drive die Band voran treibt. Auf dieses Chet Baker Quartett mit dem Pianisten Dick Twardzik, dem Bassisten Jimmy Bond und dem Schlagzeuger Peter Littman ist keiner gefasst gewesen. Bockhanal macht diese Überraschung noch einmal erlebbar: Das Chet Baker Quartett in seinem vermutlich einzigen Konzert mit dem Orchester Kurt Edelhagen. Voller Kraft und melodischem Esprit fliegt Chet Baker durch die Komposition seines Freundes Jack Montrose, neu interpretiert von der Edelhagen-Band. Bockhanal ist das früheste Stück auf “Early Chet“ und eine besonders wertvolle Rarität: Nur vier Wochen nach diesem Konzert existiert das Quartett nicht mehr. Am 21. Oktober 1955 stirbt der Pianist Dick Twardzik – erst 24-jährig – in Paris an einer Überdosis. Chet Baker setzt seine Europa-Tournee fort mit unterschiedlichen Begleitmusikern. Und immer wieder als Solist. Gerne auch eingeladen von Joachim-Ernst Berendt, dem damaligen SWF-Redakteur und „Jazz-Papst“, der Baker noch zwei Mal nach Baden-Baden holt, um ihn mit der Big Band des SWF, dem Orchester Kurt Edelhagen, aufzunehmen. Kurt Edelhagen wählt dafür Standards, in denen sich Chet Baker hörbar wohlfühlt. Baker ’56 ist die einzige Originalkomposition, die für die Session entstanden ist. Der Einfluss von Miles Davis, zu dem sich Chet Baker ganz offen bekannte, wird bei den Solostücken mit Orchester besonders deutlich. Ihrer Zeit weit voraus ist die schöne Idee, damals auch die Sängerin Caterina Valente im Duo mit Chet Baker aufzunehmen: I’ll Remember April und Every Time We Say Goodbye. „Nur Caterina und Chet – sonst nichts. Letzte Raffinesse und letzte Einfachheit begegneten sich“, schreibt Joachim-Ernst Berendt. In dem intimen Duo spielt Chet Baker eine Trompete, wie nur er sie spielen kann: Zart, melodisch, geschmeidig. Sie klingt wie eine Trompete aus blauem Samt. Kurz nach diesen Aufnahmen fliegt Chet Baker Anfang April 1956 zurück in die USA.
Im Juli 1959 kommt er wieder nach Europa. Der Grund ist kein so romantischer wie Jahre zuvor die Sehnsucht nach Liliane. Es ist die Drogensucht, die Chet Baker für vier Monate nach Rikers Island gebracht hat, einem New Yorker Gefängnis. Auch seine cabaret card wird ihm entzogen, die Lizenz, um in New Yorker Clubs auftreten zu können. Damit verliert er seine Lebensgrundlage. Nur allzu gern nimmt er eine Einladung nach Italien an und tourt von dort aus als Solist durch Europa. Nimmt auf, wo es etwas für ihn aufzunehmen gibt. Auch wieder in Baden-Baden. Jetzt mit dem Orchester Rolf-Hans Müller, das für Chet Baker vier stimmungsvolle Balladen für Orchester plus Streicher vorbereitet hat. Dabei findet Baker auch hier als Solist wieder Wendungen, die die oft gespielten Stücke frisch und neu klingen lassen. Besonders überzeugend ist er bei Polka Dots And Moonbeams. Und auf Autumn in New York bürstet er ganz cool gegen den Strich. Mit einer spontanen Schlusskadenz setzt „Early Chet“ sein persönliches Statement: Tiefe braucht nicht viele Noten.